Musikalische Matinee am 30. September 2018

Am Sonntag, dem 30. September 2018 fand im Gästehaus Frauenlobstraße 1 eine musikalische Matinee unter der Moderation von Frau Viviane Goergen statt. Künstler des Morgens war der Pianist Alexander Koryakin, er brachte Musik von Scarlatti, Beethoven, Chopin und Schuman zu Gehör.

Programm -Alexander Koryakin

Musikalische Matinee mit Alexander Koryakin im Gästehaus der Frankfurter Goethe-Universität

 

An Matineen mag es vielerlei geben – nicht allzu zahlreiche jedoch werden derart in der Erinnerung eines erlesenen vormittäglichen Auditoriums bleiben, das sich am letzten Septembersonntag 2018 auf Einladung der „Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität“ in einem der beiden Gästehäuser der Hochschule einfand: zu einem Konzert des russischen Pianisten Alexander Koryakin, zu dem Professor Jürgen Bereiter-Hahn als Vorsitzender des Stiftungsrates das Publikum begrüßte und durch das die Konzertpianistin Viviane Goergen mit ihrer fachkundigen Moderation führte.


Alexander Koryakin im Gästehaus der Goethe-Universität

Anspruchsvolle Klavierwerke von Guiseppe Domenico Scarlatti, Ludwig van Beethoven, Robert Schumann und Frédéric Chopin standen auf dem Programm – allesamt Kompositionen, bei deren Interpretation Koryakin seine souveräne Musikalität und Meisterschaft, seine Virtusosität und Strahlkraft am Flügel unter Beweis stellte. Diese besonderen Tugenden und Fähigkeiten des hoch-, ja höchstbegabten Künstlers fanden bereits in einem früheren Beitrag in diesem Magazin eine würdigende Betrachtung.

„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ – mit diesem Nietzsche-Zitat eröffnete Viviane Goergen die Matinee, die mit vier ursprünglich für Cembalo komponierten Sonaten von Guiseppe Domenico Scarlatti (1685-1757), dem Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs – er wurde und wird, bei aller Unverwechselbarkeit der Musik eines jeden der beiden, noch heute vielfach als „der italienische Bach“ apostrophiert – begann. Nicht weniger als 555, meist überaus originelle ein- und zweisätzige Cembalosonaten sind bis heute von Scarlatti erhalten – ein singuläres Vermächtnis der barocken Klaviermusik.

Mit sehr viel Feingefühl trug Koryakin zunächst das liedhafte, von ruhiger Melodik im Viervierteltakt getragene Adagio cantabile A-Dur (K. 208) vor. Ihm folgte das spielerisch-virtuose Allegro G-Dur (K. 55), das der Pianist in ausgeprägter Nuancierung wie zugleich in forciertem Tempo zu Gehör und das Auditorium zum ersten Mal zum Atemanhalten brachte. Im gänzlichen Kontrast dazu steht wiederum das 70 Takte umfassende, melancholisch stimmende Andante mosso in h-Moll (K. 87) im langsamen Dreivierteltakt, geeignet, den Hörer in einen meditativen Zustand zu versetzen. Koryakin überzeugte im schweren Fluß des h-moll in seinem strukturierten Spiel gleichwohl mit immer wieder neuen, auch überraschenden Akzenten. Das die Folge abrundende, fröhlich-melodische, gleichsam heiter-perlende Allegro E-Dur (K.135) im Sechsachteltakt erfordert vom Pianisten wieder die vielzitierten „flinken Finger“ wie auch handübergreifendes Spiel, von Koryakin souverän gemeistert.


Viviane Goergen und Alexander Koryakin

Als Schwerpunkt zur Mitte des musikalischen Vormittags hin folgte von Ludwig van Beethoven (1770-1827) die mächtige „Namenssonate“ Nr. 26 in Es-Dur op. 81a, gemeinhin bekannt als „Les Adieux“ – ein dreisätziges, eine gute Viertelstunde Spielzeit in Anspruch nehmendes Werk mit den Satzbezeichnungen „Das Lebewohl“ – Adagio/Allegro, c-Moll/Es-Dur (Zweivierteltakt/alla breve) – , „Abwesenheit“ – Andante espressivo, c-Moll (Zweivierteltakt) – und „Das Wiedersehen“ – Vivacissimamente, Es-Dur im Sechsachteltakt. Bei der heutigen Rezeption des Werkes liegt es nahe, den programmatischen Titeln der drei Sätze folgend – Lebewohl/Adieux, Abwesenheit, Wiedersehen – Bezüge zu individuellen Lebenssituationen herzustellen, denn ein jeder wird schon einmal Abschiedsschmerz, Alleinsein und Wiedersehensfreude erfahren haben. Beethovens Anlass für die Komposition war indes ein anderer: Erzherzog Rudolph von Österreich, selbst dem Klavierspiel zugetan, Schüler und später bedeutender Förderer und Mäzen des Komponisten, mußte im Frühjahr 1809 mit der kaiserlichen Familie vor den herannahenden napoleonischen Truppen aus Wien fliehen, wohin er Anfang 1810 jedoch wieder zurückkehrte. Beethoven widmete ihm, der Abreise und anschließend der Ankunft des verehrten Mentors entsprechend, diese Sonate.

Dem langsamen, ernsten Adagio des ersten („Lebewohl“) Satzes folgt fast unvermittelt ein lebhaftes Allegro, im welchem man Nervosität und ein inneres Aufgewühltsein angesichts der Abschiedssituation erkennen könnte. Den Satz beschließt – und das Allegro umrahmt – wiederum das Abschiedsmotiv des Adagios. Den zweiten, melancholisch-klagenden c-Moll-Satz („Abwesenheit“, Andante espressivo) durchbrechen einige Beethoven-typische, von Unruhe kündende Eruptionen. Eine schier unbändige Freude signalisiert der die Sonate abschließende, ein „Vivacissimamente“ fordernde und am Ende in einen Jubel ausbrechende dritte Satz („Wiedersehen“) – eine auch spieltechnisch große Aufgabe für jeden Pianisten.

Alexander Koryakin beherrschte mit seinem tiefen Hineinversinken in das Trauer, Schmerz, Unruhe und Verlust vermittelnde musikalische Gebäude dieser eigenwilligen Sonate ebenso wie mit seinem die dynamischen Ausbrüche des Komponisten bis ins wildeste Fortissimo vollziehendem Spiel die Herausforderungen dieses Werkes, das der bereits reifere Beethoven an der Wende zu seinem vierten Lebensjahrzehnt schrieb. Dies geschah mit jener ruhigen, verinnerlichten Konzentration und einer tiefen Empathie für das Werk, die sich auf das Auditorium übertrugen. Erfreulich der Verzicht des Pianisten auf pathetisch-theatralische Gesten und vordergründige Gebärden, wie man sie vielfach im internationalen Musikbetrieb antrifft – dies alles gepaart mit atemberaubender Technik und musikalisch-handwerklicher Virtuosität. Koryakin verkörpert gewissermaßen, mehr noch: er „ist“ die Musik, die er spielt.


Alexander Koryakin mit seiner Ehefrau nach dem Konzert

Das kompositorische Schaffen von Robert Schumann (1810-1856), einem der Großen der deutschen Romantik, verdankt sich maßgeblich dem mit der Lähmung seiner rechten Hand bedingten Ende seiner Laufbahn als Pianist. Seine „Arabeske für das Pianoforte op. 18“ in C-Dur mit der Spielanweisung „Leicht und zart“ entstand 1839 nach einer vorübergehenden, von seinem späteren Schwiegervater Friedrich Wieck erzwungenen Trennung von Clara Wieck. Das Rondo mit der beim Publikum beliebten, schlichten wie eingängigen Kantilene enthält in den Zwischenspielen auch dunklere Färbungen in e-Moll und a-Moll mit dynamischen Steigerungen bis zu einem pathetischen Fortissimo. Alexander Koryakin brachte einfühlsam wie zugleich energisch das je nach Interpretation sechs- bis siebenminütige Werk in allen seinen Nuancen zu Gehör.

Den Schluss der Matinee bildeten zwei Werke von Frédéric Chopin (1810-1849): die Ballade Nr. 3 As-Dur op. 47 sowie das Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31. Chopin habe, betonte Viviane Goergen in ihrer Moderation, die Möglichkeiten des Klaviers klanglich, spieltechnisch und ausdrucksmäßig in einer Dimension ausgebaut und angereichert, wie keiner vor ihm noch nach ihm. „Alles, was seine Vorgänger pianistisch leisteten, hat Chopin in genialer Weise in seinem Werk zusammengefasst. Seine Kompositionen ihrerseits strahlten auf alle aus, die nach ihm kamen, wie Liszt, Brahms, Reger, Debussy bis hin zu Schönberg, um nur einige der wichtigsten Namen zu nennen. Und trotzdem bleibt sein Stil, der Chopinstil, etwas Einmaliges und ganz Persönliches. Genauso wie wir es bei Scarlatti gesehen haben.“ Jede der insgesamt vier Balladen des Meisters stellt eine individuelle und eigenwillige Komposition dar, wobei die dritte, so Goergen, „mit ihrem melancholischen, sensiblen und poetischen Charme in der Gegenüberstellung zu den spannungsgeladenen, ausdrucksstarken und aufwühlenden Elementen, die sich kraftvoll und brillant zum atemberaubenden markanten Höhepunkt steigern“ fasziniert. Als nicht minder originell und eigenwillig zeigen sich Chopins vier Scherzi, von denen das zweite mit einer Spieldauer zwischen neun und zehn Minuten besonders vielseitige Aspekte aufweist. Auch hier möchten wir wieder die Moderatorin Viviane Goergen zu Wort kommen lassen: „Der rhythmisch scherzhafte Anfang, die spannungsgeladenen dunkler wirkenden Passagen, die brillanten virtuosen Läufe über die ganze Klaviatur, kontrastierend dazu der melodisch tiefsinnigere und lyrische zweite Teil mit subtileren Ausdrucksformen. Dann wieder äußerste Brillanz mit aufwühlenden, dämonischen Passagen, großer spielerischer Lauftechnik. Kurzum ein sehr reizvolles und wirkungsvolles Bravourstück.“

Die Ausführungen Viviane Goergens über die Genialität Chopins als Komponist und Klaviervirtuose lassen sich in vergleichbarer Weise auf die perfekte, das Auditorium fesselnde, souveräne Spielkunst von Alexander Koryakin übertragen.

Rauschender Beifall brandete an jenem Vormittag im Saal des Gästehauses der Goethe-Universität auf, für den sich Alexander Koryakin mit einer Zugabe, den zart-sensiblen und gerade auch deshalb jeden Pianisten herausfordernden „Lilacs“ Op. 21 No. 5 von Sergei Rachmaninow, bedankte. Doch nicht genug: Das Publikum nötigte ihm mit nun erst recht lautstarkem Applaus eine weitere Zugabe ab. Koryakin verabschiedete sich mit einer der virtuosen Carmen-Variationen von Vladimir Horowitz. Der pianistische Zaubermeister bescherte den begeisterten Anwesenden eine unvergessliche Musikmatinee!

Alexander Koryakin tritt am 19. November 2018 im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums mit dem 5. Klavierkonzert in Es-Dur von Ludwig van Beethoven auf; in Deutschland bringt er anschließend diese Komposition mit dem Bad Vilbeler Kammerorchester zu Gehör. Am 29. Januar 2019 spielt er in der Schlosskirche Bad Homburg Werke von Chopin, Schumann, von Weber and Mussorgski.


Professor Jürgen Bereiter-Hahn, Vorsitzender des Stiftungsrats, Viviane Goergen und Alexander Koryakin

Dem Genius musicus eines Alexander Koryakin korrespondierte an jenem Sonntagvormittag der Genius loci der Villa Cahn, einem der Gästehäuser der Goethe-Universität in der Frankfurter Frauenlobstraße. Dazu die Vorgeschichte: Die im September 1983 auf Initiative des damaligen Präsidenten der Universität (und späteren Intendanten des Hessischen Rundfunks) Professor Hartwig Kelm unter Einbeziehung von Altstiftungen aus der Anfangszeit der Hochschule gegründete „Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität“ (heute nur noch Goethe-Universität) verfolgt als Stiftungsziele die Vertiefung der Beziehungen der Universität zu ihren Partneruniversitäten, die Förderung von Mitgliedern der Universität ausgerichteter internationaler Symposien, die Vergabe von Stipendien an internationale Beziehungen fördernde Wissenschaftler der Universität, die Bereitstellung von Wohnräumen für ausländische Gastwissenschaftler der Universität in den beiden Gästehäusern sowie – als Internationales Begegnungszentrum – die Bereitstellung von Räumen für universitäre und außeruniversitäre Veranstaltungen. Zu letzterem eignet sich in besonderer Weise der Parterresaal mit Terrasse der Villa Cahn. Beide inmitten parkähnlich angelegter Gärten nebeneinander gelegenen Gästehäuser können übrigens auch für private Feiern, Empfänge oder Tagungen angemietet werden.

Auf Initiative von Professor Bereiter-Hahn als Vorsitzendem des Stiftungsrats und der Pianistin Viviane Goergen soll der Kreis an Veranstaltungen der Stiftung im Anschluss an die Matinee als erste dieser Art künftig um musikalische Darbietungen erweitert werden.

Fotos: Erhard Metz

→ Der junge russische Pianist Alexander Koryakin im Hauskonzert von Viviane Goergen